Tirols kleinstrukturierte Lebensmittel-Produzent:innen durch Bürokratie und Verordnungen belastet Die Tiroler Lebensmittelgewerbe schlagen Alarm. Nach den massiv gestiegenen Rohstoffkosten der vergangenen Jahre stehen Tirols Metzgereien, Bäckereien, Konditoreien sowie Nahrungs- und Genussmittelbetriebe abermals vor neuen Herausforderungen: Aufwendungen für die Einführung des Pfandsystems oder die anstehende Entwaldungsverordnung. Diese lassen sich nicht mehr an die Konsument:innen weiterverrechnen, bei vielen Produkten sei die Grenze der sozialen Verträglichkeit erreicht, warnen die Interessenvertreter. Die gewerblichen Lebensmittelbetriebe haben für Tirol hohe wirtschaftliche Bedeutung. Laut einer Studie der Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung tragen diese Betriebe jährlich 512,9 Millionen Euro zur regionalen Wertschöpfung bei. Die Tiroler Lebensmittelgewerbe sind mit 89 aktiven Metzger:innen, Bäcker:innen, Konditor:innen sowie Nahrungs- und Genussmittelbetrieben auch im Bezirk Kufstein fest verankert. Trotz ihrer elementaren Bedeutung für den kulinarischen Alltag der heimischen Bevölkerung, kämpfen die Wirtschaftskammer-Mitgliedsbetriebe der Tiroler Lebensmittelgewerbe aber mit anhaltenden Herausforderungen. Hohe Betriebskosten, personelle Engpässe und bürokratische Hürden beeinträchtigen die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Branche. „Wir befinden uns in einem anhaltenden Krisenmodus. Und leider sind viele der Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, hausgemacht. Überbordende Regulatorik und eine regelrechte Verordnungsflut belasten unsere Mitgliedsbetriebe enorm“, erklärt Georg Schuler, Innungsmeister der Lebensmittelgewerbe in der Wirtschaftskammer Tirol. Wirtschaftliche Aushöhlung droht Die hohe Teuerung bei den Rohstoffen und den Energiekosten wird durch Maßnahmen wie die Einführung des Pfandsystems, Vorgaben aus dem Lieferkettengesetz oder durch die geplante EU-Entwaldungsverordnung zusätzlich angeheizt. „Für die vielen klein- und mittelständischen Betriebe im Tiroler Lebensmittelgewerbe bedeuten diese vermeintlichen Innovationen schlichtweg die nächste Kosten-Ohrfeige, die sie abfangen müssen. Denn die Realität ist, dass viele unserer Klein- und Mittelbetriebe diesen Mehraufwand nicht mehr verdienen können“, weiß Schuler. Der mit den gesetzlichen Regulativen einhergehende bürokratische und organisatorische Personaleinsatz lässt sich vielfach nicht durch höhere Preise erwirtschaften, wie auch der Innungsmeister-Stellvertreter der Lebensmittelgewerbe Gerd Jonak betont. „Unsere Produkte müssen weiterhin sozialverträglich kalkuliert werden. Wir können die Preise für eine Semmel oder ein Stück Kuchen nicht innerhalb von wenigen Jahren endlos erhöhen. Wenngleich die Kosten das verlangen würden. Die Menschen gehen bei dieser Entwicklung nicht mehr mit und ersetzen irgendwann auch die beste handwerkliche Qualität durch günstigere Diskont-Ware“, so Gerd Jonak, der selbst eine Traditions-Bäckerei in Imst betreibt. In Anbetracht dieser Entwicklung sieht die Spitze der Innung der Lebensmittelgewerbe aktuell ihren zentralen Auftrag darin, weiteren Belastungen entgegenzuwirken – durch Sacharbeit auf politischer Ebene und begleitender Beratung von Mitgliedsbetrieben. Betriebsaufgaben und Insolvenzen Gestiegene Kosten, die bei den Unternehmen hängen bleiben, haben bereits jetzt dramatische Folgen: Wirtschaftliche Aushöhlung durch schrumpfende Gewinnmargen, Insolvenzen und Betriebsaufgaben angesichts nicht gegebener wirtschaftlicher Perspektiven. Die jüngste Insolvenz des Schlachthofs Huber in St. Johann, aber auch zahlreiche Betriebsaufgaben in den vergangenen Jahren seien als überdeutliche Alarmsignale zu werten, betonen die Interessenvertreter der Tiroler Lebensmittelgewerbe. Auch die zurückhaltende Kaufbereitschaft bereitet Probleme. Trotz lediglich moderat gestiegener Preise für Produkte der Tiroler Lebensmittelgewerbe und gleichzeitig gestiegener Tariflöhne über dem Eurozonen-Niveau halten sich die Konsumentinnen und Konsumenten beim Einkaufen auffällig zurück. So verzeichneten die Tiroler Konditoren im 1. Halbjahr 2024 nur einen Umsatzanstieg von 0,6 % (nominell). „Fast ein Viertel der Betriebe schätzt die Geschäftslage als schlecht ein. 27 % der Nahrungs- und Genussmittelbetriebe erwarten Umsatzrückgänge für das heurige Jahr. Die wirtschaftliche Unsicherheit und die Inflation machen die Betriebsplanung unberechenbarer, ein Aufstocken des Personalstandes erscheint vielfach als riskant. Rund zwei Drittel aller Betriebe halten deshalb ihren Personalstand konstant“, fasst Simon Franzoi, Geschäftsführer der Landesinnung der Lebensmittelgewerbe, aktuelle Umfragedaten zum Stimmungsbild innerhalb Tirols Lebensmittelgewerbe zusammen. „Obwohl die Lage derzeit schwierig ist, halten unsere Mitgliedsbetriebe an ihrem Engagement fest. Sie setzen alles daran, auch in herausfordernden Zeiten als regionale, verlässliche Nahversorger:innen mit hochwertigen Lebensmitteln für die Bevölkerung da zu sein“, betont Franzoi. WK Tirol steuert mit gemeinsamer Vermarktung entgegen Mit gemeinsamen Marketinginitiativen wie der breit angelegten „Tirol schmeckt“-Kampagne steuern die Tiroler Lebensmittelgewerbe diesen Entwicklungen entgegen. „Wir haben mit unserer Initiative ‚Tirol schmeckt‘ in den vergangenen Jahren viel Bewusstsein für die Qualität handwerklich geprägter Lebensmittel aus Tiroler Produktion geschaffen. Denn wir sind überzeugt, dass auf Dauer das Verständnis für den Wert regional produzierter Qualität den entscheidenden Unterschied macht. Aber auch das hat seine Grenzen. Konsument:innen sind nicht endlos willens, die Kosten von Bürokratie und Regulatorik zu tragen“, so Innungsmeister Georg Schuler. WIFI-Campus: Impuls gegen Fachkräftemangel bei Bäckereien und Konditoreien Mit dem Umbau der Bäckerei und Konditorei am WIFI Campus Tirol in Innsbruck wurde zudem ein wichtiger Impuls gesetzt, um einer weiteren großen Branchen-Herausforderung entgegenzuwirken, dem Fachkräfte-Mangel. 400.000 Euro hat die Wirtschaftskammer Tirol in den Umbau der Bäckerei und Konditorei investiert. In Westösterreichs modernster Aus- und Weiterbildungsstätte für Bäcker:innen und Konditor:innen findet auch der Berufsnachwuchs aus dem Bezirk Kufstein ideale Ausbildungsbedingungen. „Bisher musste man aus Westösterreich für Fortbildungen bis nach Linz ausweichen, das bedeutet für unsere Lehrlinge und deren Ausbildungsbetriebe eine große Erleichterung“, erklärt Gerd Jonak. Die Räumlichkeiten werden erstmals gemeinsam von beiden Berufsgruppen sowie für Kochausbildungen genutzt.