21.09.2022    1 Bild

Arbeitsmarkt: Diese Themen haben Priorität

Gegen den Arbeits- und Fachkräftemangel braucht es einen Mix aus vielen Einzelmaßnahmen. Bereiche, die sich rasch umsetzen lassen, müssen von der nächsten Landesregierung sofort angegangen werden.
© WKT / Die Fotografen (Abdruck honorarfrei)

Forderten heute bei einer Pressekonferenz zielsichere Maßnahmen für positive Entwicklungen am Arbeitsmarkt (v.r.): WK-Präsident Christoph Walser, die via Videostream zugeschaltete Obfrau der WK-Bezirksstelle Lienz, Michaela Hysek-Unterweger, sowie der WK-Arbeits- und Solzialrechtsexperte Bernhard Achatz.

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Der Arbeits-und Fachkräftemangel ist neben den steigenden Energiepreisen die größte Herausforderung für die Tiroler Betriebe. Daher braucht es dringend Gegenmaßnahmen, um die Situation für die heimischen Betriebe zu entschärfen. Einige langjährige Forderungen der WK sind bereits von der Politik auf Schiene gebracht worden – von der Senkung der Lohnnebenkosten bis hin zur Abschaffung der Kalten Progression. Doch die dramatische Situation erfordert weitere Schritte, auch auf Landesebene. „Die vor rund einem Monat vorgestellte Tiroler Arbeitsmarktstrategie wurde gemeinsam mit den Sozialpartnern erstellt und es finden sich darin zahlreiche Inhalte, die seitens der Wirtschaftskammer Tirol eingebracht wurden“, erklärt WK-Präsident Christoph Walser, „für die neue Landesregierung wird eine der dringendsten Aufgaben darin liegen, für die Umsetzung zu sorgen.“ Dabei gilt es, Prioritäten zu setzen und rasch realisierbare Bereiche vorzuziehen, um möglichst schnell, spürbare Ergebnisse zu erzielen.

Folgende Themenbereiche sollten vorrangig angegangen werden:

Kompetenzchecks und Praxistests

  • Flächendeckende Kompetenzchecks. „Wir können es uns gerade jetzt nicht leisten, Talente brach liegen zu lassen oder auf deren Weiterentwicklung zu verzichten“, stellt Walser fest. Wer seine Fähigkeiten möglichst gut in sein Berufsleben integrieren kann, erbringt Top-Leistungen für den Betrieb und erzielt eine hohe Arbeitszufriedenheit. Für Jugendliche gibt es hier bereits ein breites Angebot. Es braucht auch für Erwachsene einen Kompetenzcheck aller individuellen Fähigkeiten. „Jedem in Tirol lebenden Menschen soll eine kompetenzorientierte Beratung angeboten werden, die Talente, Stärken und Fähigkeiten erhebt und diese in Form eines Gutachtens dokumentiert“, fordert Walser.
  • Praxistests. Auch bei ausländischen Arbeitskräften darf nicht mehr leichtfertig auf Qualifikationen verzichtet werden. Bei der Reform der Rot-Weiß-Rot-Card wurden zahlreiche Forderung der Wirtschaftskammer übernommen und wesentliche Verbesserungen erreicht. „Probleme gibt es allerdings noch immer bei der Anerkennung ausländischer Ausbildungen“, betont Walser. Es braucht wesentliche Erleichterungen, insbesondere bei der Anerkennung von Ausbildungsnachweisen und vor allem die Berücksichtigung von informell und non-formal erworbener Fähigkeiten und Kompetenzen. Diese können durch Praxistests festgestellt werden und bei Vorliegen der Gleichwertigkeit der Kompetenzen zu einem in Österreich erworbenen Lehrabschluss den Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen. 

Flächendeckende Kinderbetreuung + flexible Beschäftigungsmodelle

  • Ausbau der Kinderbetreuung. Die Gewährleistung einer bedarfsorientierten Betreuung von Kindern bildet für Frauen und Männer eine Grundvoraussetzung für die Teilnahme am Arbeitsmarkt. Daten der Statistik Austria zeigen, dass es aktuell österreichweit sogar einen Rückgang bei den Plätzen für die Ganztagesbetreuung gegeben hat. „Das geht in die komplett falsche Richtung“, erklärt die Obfrau der WK-Bezirksstelle Lienz, Michaela Hysek-Unterweger. Innerhalb der nächsten fünf Jahre muss daher eine flächendeckende (auch gemeindeübergreifende) Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr (ganzjährig und ganztägig) in allen Tiroler Regionen realisiert werden. „Erfreulich ist, dass es zuletzt seitens der Tiroler Landesregierung Signale gegeben hat, den von der WK geforderten Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung umzusetzen“, so Hysek-Unterweger. 
  • Flexible Beschäftigungsmodelle. „Zusätzlich müssen wir mit flexiblen Beschäftigungsmodellen die Rückkehr in den Arbeitsmarkt bei Betreuungsverpflichtungen fördern“, betont die Bezirksobfrau. Das kann beispielsweise durch flexible Arbeitszeitmodelle oder die Einrichtung von wohnortnahen Co-Working Möglichkeiten inklusive bedarfsgerechter Kinderbetreuung geschehen. „Die anstehenden Kollektivvertragsverhandlungen sind eine Chance dafür, den Fokus nicht nur auf Lohnerhöhungen zu legen, sondern die Attraktivität der Arbeit auch mit innovativen Strategien in den Kollektivverträgen zu verankern“, so Hysek-Unterweger. 

Anreize für Senioren-Mitarbeiter und Nebenbeschäftigungen 
„Der verstärkte Einsatz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Umfeld des Pensionsalters ist ebenfalls eine sehr effektive und ebenfalls rasch umsetzbare Lösung“, betont Hysek-Unterweger. Rund 40 Prozent der Angestellten, die kurz vor der Pension stehen, würden laut Umfragen gerne weiterhin im Betrieb tätig bleiben, sofern die Rahmenbedingungen stimmen. Hier gilt es vor allem zu unterscheiden, ob das Regelpensionsalter bereits erreicht ist oder nicht. 

Bei vorzeitiger Alterspension stellt für Männer unter 65 und Frauen unter 60 Jahren die Geringfügigkeitsgrenze das absolute Limit dar. Wer mehr als 485 Euro monatlich verdient, muss den Teil- bzw. Totalverlust seiner Pension hinnehmen. „Eine attraktive Möglichkeit, langsam aus dem Erwerbsprozess auszusteigen, bietet hingegen die Altersteilzeit“, erklärt der Leiter der Abteilung Arbeits- und Sozialrecht in der WK Tirol, Bernhard Achatz. Derzeit sieht das Modell eine Reduktion der Arbeitszeit zwischen 40 und 60 Prozent bei entsprechendem Lohnausgleich vor. Für den Rechtsexperten wäre eine Weiterentwicklung des vorgegebenen Rahmens sinnvoll: „Eine Reduktion von 30 Prozent in den ersten beiden Jahren und danach um 50 oder 70 Prozent würde ein schrittweises Ausgleiten ermöglichen“, so Achatz. 

Bei Personen, die das Regelpensionsalter erreicht haben, stellt sich die rechtliche Situation anders dar: Hier ist ein Zuverdienst ohne Grenze möglich. Trotzdem wird diese Option noch zu wenig genutzt. „Um diesen Weg für mehr Menschen als bisher attraktiv zu machen, sollten für den Zuverdienst keine Sozialversicherungsbeiträge, insbesondere zur Pensionsversicherung, anfallen“, schlägt Achatz vor. 

Auch der Gruppe jener, die zusätzlich zu ihrem Beruf etwa am Wochenende einer Nebenbeschäftigung nachgehen wollen, müssen entsprechende Rahmenbedingungen geboten werden. „Das hilft einerseits den Betroffenen, die diesen Schritt angesichts der anhaltenden Teuerung gehen, andererseits den Betrieben, da sie so – zumindest stundenweise – zusätzliche Arbeitskräfte zur Verfügung haben“, ergänzt Walser und schlägt dafür eine Anhebung der Zuverdienstgrenze auf 600 Euro vor.  

„Arbeitgebermarke Tirol“ rasch umsetzen
Die Marke „Tirol“ ist national und international enorm stark und positiv besetzt. Diese Marke gilt es auch in der Rekrutierung von Mitarbeiter:innen gezielt einzusetzen. Erste Vorarbeiten des Landes unter dem Dach der Lebensraum Tirol zur Entwicklung einer „Arbeitgebermarke Tirol“ sind vielversprechend – diese müssen nach den Landtagswahlen unbedingt fortgeführt werden. Auch hier ist Geschwindigkeit gefragt, um sich einen Vorsprung gegenüber anderen Regionen zu erarbeiten. 

In diesem Zusammenhang gibt es eine positive Nachricht: Das von der WK Tirol jahrelang geforderte durchgängige und flächendeckende internationale Bildungsangebot bis hin zu einer Europa-Matura hat mittlerweile die nächste formale Hürde genommen. Bildungsminister Polaschek hat die entsprechende Kooperationsvereinbarung zwischen Bund und Land an die EU übermittelt. Im Endausbau sollen in der „Europäischen Schule Tirol“ (AES) 700 Schüler:innen Platz finden. „Das erhöht die Attraktivität des Standortes für internationale Spitzenkräfte wesentlich und ist ein wertvoller Beitrag zur Entschärfung des Fachkräftemangels“, erklärt der WK-Präsident.

Lehre nach der Matura forcieren
Die Lehre bietet nach wie vor den idealen Einstieg ins Berufsleben. „Wir müssen die Attraktivität der dualen Ausbildung noch stärker kommunizieren und auch gezielt andere Gruppen wie Schul- oder Universitätsabbrecher ansprechen“, erklärt Christoph Walser. Auch bei Maturanten besteht noch Potenzial, das es zu heben gilt. „Eine Kampagne, die diese Zielgruppe anspricht, kann einen Beitrag zur Bekämpfung des Fachkräftemangels leisten“, so Walser. Maturantinnen und Maturanten können eine verkürzte Lehrzeit nutzen und stehen daher dem Arbeitsmarkt relativ schnell als hochqualifizierte Fachkräfte zur Verfügung. 

Schnelles Handeln, flexible Gesetzgebung
All diese vorgeschlagenen Maßnahmen lassen sich seitens der Politik rasch umsetzen und verbessern massiv die aktuellen Personalengpässe in allen Branchen. „Wir haben JETZT einen akuten Mangel an Arbeitskräften und arbeiten zum Großteil noch mit gesetzlichen Vorgaben, die sich auf eine ganz andere Situation beziehen. Die Politik muss mit der entsprechenden Flexibilität reagieren und die Rahmenbedingungen an die tatsächliche Lage anpassen, auch in Zukunft“, fordert Walser.

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Kontakt

Achatz Bernhard
Tiroler Wirtschaftskammer
Arbeits- und Sozialrecht
Mag. Bernhard Achatz
T 05 90 90 5-1439
M bernhard.achatz@wktirol.at