27.11.2024    5 Bilder

Zwischen Modal-Split und Dekarbonisierung: Wohin geht Tirols Güterverkehr?

© WK Tirol/Die Fotografen (Abdruck honorarfrei)

Auf Einladung des Tiroler Engergiehandels um Obmann Alexander Gutmann diskutierten Georg Dettendorfer, Geschäftsführer der Johann Dettendorfer Spedition und Vizepräsident der IHK für München und Oberbayern, Sebastian Kummer, Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik der Wirtschaftsuniversität Wien, sowie Stephan Tischler, Vorsitzender der internationalen Alpenschutzkommission CIPRA Österreich und Verkehrswissenschaftler an der Universität Innsbruck (v.l.), in Igls über die Zukunft des Güterverkehrs.

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Österreich steht vor der dringenden Herausforderung, die Emissionen im Straßengüterverkehr zu reduzieren, wenn die Klimaziele für 2030 und 2040 nicht außer Reichweite geraten sollen. Ohne einen klaren Maßnahmenplan zur CO2-Reduktion im Güterverkehr sind diese Ziele kaum erreichbar. Die Gesamtgüterverkehrsleistung sowie der Straßenanteil im Modal-Split sind in den vergangenen Jahren entgegen politischen Vorhersagen weiter gestiegen. Klimaneutralität könnte, wenn überhaupt, frühestens 2050 erreicht werden – und auch das nur bei vollständiger Ausschöpfung aller verfügbaren Potenziale. Expert:innen diskutierten dazu bei den Igler Mobilitätsgesprächen sehr kontroversiell.

Die Brenner-Achse steht exemplarisch für die großen Herausforderungen im Verkehr. Laut einer Prognose aus dem Jahr 2007 sollte es bis 2025 zu einer massiven Steigerung im Güter- und Personenverkehr kommen und sich der Anteil des Schienengüterverkehrs auf 40 % erhöhen. Doch Sebastian Kummer, Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik an der WU Wien, betonte, dass die Realität ein gegenteiliges Bild zeigt: „Eingetreten ist eine minimale Erhöhung der Schienengüterverkehrsmengen während der Modal-Split-Anteil auf der Straße hingegen gewachsen ist. Die prognostizierten Steigerungen waren Wunschdenken und spiegeln nicht die tatsächlichen Entwicklungen wider.“ Kummer führte weiter aus, dass der Schienengüterverkehr weiterhin unter Druck steht.

Die steigende Nachfrage nach kleinen, flexiblen und individuellen Logistiklösungen sei kaum auf der Schiene abzubilden. „Gleichzeitig sinkt die Nachfrage nach Massengütern wie Stahl, Kohle und Baumaterialien, die traditionell auf der Schiene transportiert werden“, erklärte er. Zusätzlich behindern die langsame Einführung neuer Technologien wie das Europäische Zugbeeinflussungssystem (ETCS), unharmonisierte europäische Standards und Kapazitätsengpässe den Fortschritt. Die europaweit unterschiedlichen Stromstandards, Spurweiten und Zugsicherheitssysteme bilden seit Jahrzehnten Hindernisse. „Der Erfolg des Schienenpersonenverkehrs verdrängt die Schiene im Güterverkehr weiter, besonders entlang der Brenner-Achse“, so Kummer.

Trends und Herausforderungen im Schienengüterverkehr
Stephan Tischler, Senior Scientist an der Universität Innsbruck, Institut für Infrastruktur / Arbeitsbereich für Intelligente Verkehrssysteme, verdeutlichte die langfristige Verschiebung vom Schienen- zum Straßenverkehr: „Noch in den 1950er-Jahren wurden drei Viertel aller Güter auf der Schiene transportiert. Heute dominiert die Straße, und der Anteil der Schiene sinkt weiter.“ Dabei seien die deutlich geringeren Umweltwirkungen des Schienengüterverkehrs ein zentrales Argument für die politisch angestrebte Rückverlagerung von der Straße auf die Schiene. „Der Masterplan Güterverkehr 2030 und die Alpenkonvention setzen ambitionierte Ziele für den Schienenverkehr. Doch die politische Realität hinkt diesen Zielen hinterher“, so Tischler.

Trotz Milliardeninvestitionen werde auch in absehbarer Zeit keine durchgehende, moderne und leistungsfähige Bahninfrastruktur zur Verfügung stehen. Zudem erschweren nach wie vor national unterschiedliche Regelungen effiziente Abläufe im grenzüberschreitenden Bahnbetrieb. Tischler wies darauf hin, dass der Umweltgedanke auch auf der Straße teils nur in der Theorie funktioniere. „So sind Busse erst ab einem höheren Besetzungsgrad hinsichtlich der Emissionen je Fahrgast effizienter als der motorisierte Individualverkehr.“ Gleichzeitig stehen jahrelange Verkehrsbehinderungen durch Großbaustellen der Straßeninfrastruktur sowie Verzögerungen beim Schienenausbau im Fokus. „Die teils chaotischen Zustände an Wochenenden auf niederrangigen Straßen oder Blockabfertigungen zeigen, dass es für den Straßengüterverkehr wie auch den Personenverkehr ein Bündel an neuen Maßnahmen unter Nutzung neuer Technologien benötigt. Zentrales Element ist die Einführung eines intelligenten Kapazitätsmanagements“, betonte Tischler. Er warnte davor, dass undifferenzierte Maßnahmen langfristig nicht ausreichen. „Es braucht grundlegende, völkerrechtlich abgesicherte Weichenstellungen, um eine ökologische und ökonomische Transformation des Güterverkehrs zu ermöglichen.“

Herausforderungen und alternative Antriebe im Straßengüterverkehr
Georg Dettendorfer, Spediteur und IHK-Vizepräsident, hob die Bedeutung alternativer Antriebe hervor, darunter Batterie, Wasserstoff, LNG/CNG sowie HVO und Biodiesel. „Wir nutzen seit 1998 Biodiesel und haben auch mit HVO und LNG gearbeitet – diese Technologien funktionieren und sind verfügbar.“ Wasserstoff sei zwar als Energieträger der Zukunft vielversprechend, werde jedoch im Mobilitätssektor erst nach 2030 eine größere Rolle spielen. „Die Technik ist noch nicht ausgereift, Fahrzeuge fehlen und die Kosten sind derzeit zu hoch“, erklärte Dettendorfer. Elektromobilität könnte eine kurzfristige Lösung sein, doch auch hier fehlen derzeit die nötigen Infrastrukturen wie Ladepunkte und ausreichende Stromkapazitäten. Auch die Verlagerung von der Straße auf die Schiene sei ein notwendiges Ziel, doch der Zustand der Schieneninfrastruktur und die Herausforderungen des Schienengüterverkehrs erschweren dies erheblich.

Dettendorfer verwies zudem auf die dringenden Probleme bei der Straßeninfrastruktur, insbesondere entlang der Transitstrecken. „Die Sanierung der Luegbrücke wird ab 2025 an 170 Tagen zu Einspurigkeit auf der A13 führen, ergänzt durch 15 zusätzlich nötigen Lkw-Fahrverbotstage. Zusätzlich gelten Gewichtsbeschränkungen von 40 Tonnen pro Fahrzeug, was die Lademöglichkeiten weiter reduziert. Dazu kommen zahlreiche Baustellen in Bayern, die den Transitverkehr zusätzlich belasten.“ Sein Fazit: „In den kommenden Jahren wird die Verkehrsinfrastruktur auf Schiene und Straße noch weniger verfügbar sein. Wir müssen die vorhandenen Ressourcen so effizient wie möglich nutzen, um eine funktionierende und verlässliche Logistik zu gewährleisten.“ Er betonte, dass klimaneutrale Transporte unverzichtbar, aber nicht zum Nulltarif machbar seien: „Unsere Wirtschaft braucht eine stabile Logistik, um wettbewerbsfähig zu bleiben – auch bis zur Fertigstellung des Brenner-Basistunnels und des Brenner-Nordzulaufs.“

Strategien und Dekarbonisierung
Kummer betonte, dass normative planwirtschaftliche Ansätze oft ineffizient sind. „Stattdessen sollte der Fokus auf der Effizienz und Effektivität des Schienengüterverkehrs liegen – durch Abbau bürokratischer Hürden, stärkere Marktorientierung und Harmonisierung der europäischen Bahnsysteme.“ Gleichzeitig seien Investitionen in alternative Antriebe, Digitalisierung und eine flächendeckende Lade- und Tankinfrastruktur für Lkw dringend notwendig. „Eine multimodale, länderübergreifende Koordination ist unerlässlich, um den Güterverkehr nachhaltig zu gestalten. Kurzfristige Maßnahmen müssen CO2-Einsparungen ermöglichen, während langfristig alle Verkehrsträger auf ihre Stärken konzentriert und entsprechend gefördert werden“, erklärte Kummer.

Fazit: Wohin geht Tirols Güterverkehr?
Tirols Güterverkehr steht vor einer komplexen und richtungsweisenden Herausforderung: Die Klimaziele verlangen eine drastische Reduktion der Emissionen, während die Realität zeigt, dass der Straßengüterverkehr weiter dominiert und die Schiene nur sehr langsam aufholt. Der Trend der vergangenen Jahrzehnte verdeutlicht, dass der Anteil der Straße am Modal-Split weiterhin wächst – entgegen politischer Ziele und Prognosen.

Die derzeitige Infrastruktur auf Schiene und Straße steht unter massivem Druck. Kapazitätsengpässe, technologische Rückstände, jahrelange Baustellen und die Priorisierung des Personenverkehrs behindern die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene. Speziell für Tirol ist dabei der Zugang zur Schiene über Verladeterminals von zentraler Bedeutung. Das Terminal in Hall hat bereits heute seine Kapazitätsgrenze erreicht und kann nicht erweitert werden, während in Wörgl lediglich Wagenladungsverkehr und die Rollende Landstraße (RoLa) abgewickelt werden können. Sollte der Brenner-Basistunnel fertiggestellt sein und kein weiteres Terminal in Tirol zur Verfügung stehen, wäre die Tiroler Wirtschaft von diesem klimaneutralen Güterverkehrsträger weitgehend abgeschnitten.

Gleichzeitig erfordert die Dekarbonisierung des Straßengüterverkehrs erhebliche Investitionen in alternative Antriebe und Infrastruktur, die erst langfristig Wirkung zeigen werden. Kurzfristig wird Tirol weiterhin auf eine multimodale Nutzung von Straße und Schiene angewiesen sein, wobei die Effizienz der bestehenden Ressourcen im Fokus stehen muss. Innovative Maßnahmen wie ein intelligentes Kapazitätsmanagement („Slot“-System) könnten dazu beitragen, den Verkehrsfluss zu optimieren und Engpässe zu entschärfen. Langfristig führt kein Weg an einem integrierten Konzept vorbei, das alle Verkehrsträger sowie alternative Antriebe sinnvoll miteinander kombiniert.

Die Frage „Wohin geht Tirols Güterverkehr?“ lässt sich daher wie folgt beantworten: Der Weg führt über eine schrittweise Transformation, die von kurzfristigen Effizienzsteigerungen bis zu langfristigen Investitionen in Infrastruktur, Technologie und Dekarbonisierung reicht. Nur durch eine enge Zusammenarbeit von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft kann Tirol die Balance zwischen ökologischen Zielen, ökonomischer Wettbewerbsfähigkeit und einer stabilen Logistik bewahren. Der Wandel ist unausweichlich – aber auch eine Chance, den Güterverkehr zukunftsfähig zu gestalten.

 „Mit den Igler Mobilitätsgesprächen möchten wir fundierte Erkenntnisse gewinnen und Igls als Hotspot für Transport, Mobilität und Logistik etablieren. Jährlich laden wir hochkarätige Gäste aus Wissenschaft und Wirtschaft ein, um gemeinsam drängende Fragen zu diskutieren und Lösungen zu entwickeln. Die Fachgruppe Energiehandel organisiert diese Veranstaltung, um Aufklärung zu leisten und eine Plattform für den direkten Austausch mit führenden Expert:innen zu schaffen“, so Fachgruppenobmann Alexander Gutmann abschließend.

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Kontakt

Weiler Verena
Tiroler Wirtschaftskammer
Fachgruppe des Tiroler Energiehandels
Dr. Verena Weiler
T 05 90 90 5-1291
E verena.weiler@wktirol.at